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Pinky Pink

Von Axel Baumgart

 

„Geht nicht durch den Verbotenen Wald. Der Verbotene Wald ist die Grenze!“ Das lernte jeder Legostein schon von Kind an.

Die 2er Legosteine waren die ganz kleinen. Sie waren schrecklich ängstlich und wollten immer nahe bei den größeren Steinen sein. Die 4er waren schon älter und hatten nicht mehr soviel Angst. Sie waren sehr neugierig, wollten alles wissen und alles ausprobieren. Die 8er Steine waren die Alten und Weisen. Sie hatten sehr viel Erfahrung und hatten schon eine Menge erlebt. Sie waren es, die immer vor dem Verbotenen Wald warnten. Der Verbotene Wald trennte Sonnenland von Dunkelland. Er war die Grenze.

In Dunkelland lebte eine Zauberin. Immer wenn ein Legostein durch den Verbotenen Wald ins Dunkelland ging und die Zauberin ihn sah, war er völlig verändert, wenn er zurückkam. In Dunkelland lauerte die Gefahr und der Verbotene Wald schützte die Legos vor dieser Gefahr. In Sonnenland lebten die Legosteine. Sie waren fröhlich, lustig und vor allem eines: Bunt. Es gab sie in allen möglichen Farben und alle leuchteten prächtig. Aber es gab nur einen Legostein, der die Farbe pink hatte. Darum hieß er auch Pinky Pink.

Pinky war beinahe glücklich. Alle anderen Steine mochten ihn. Einerseits, weil er etwas ganz Besonderes und Einzigartiges war. Aber vor allem natürlich deshalb, weil Pinky einfach ein netter Kerl war. Er kannte tolle Spiele und hatte immer die witzigsten Ideen. Trotzdem war Pinky nicht restlos zufrieden. Wenn 4er Legosteine im allgemeinen schon neugierig waren, dann  war Pinky ein ganz besonders neugieriger 4er Stein. Solange er sich zurückerinnern konnte,  wollte er wissen, ob hinter dem Verbotenen Wald wirklich ein Land lag, das Dunkelland hieß. Wenn es dieses Land gab, wollte er wissen, wie es dort war. Gab es dort wirklich eine Zauberin? Wie hatte sie die Steine verändert, die zurückkamen? So viele Fragen, und in Pinky brannte die Neugier. Es würde dort soviel zu entdecken geben. Oft hatte Pinky schon vor dem Verbotenen Wald gestanden und versucht, hindurch zu schauen. Alles, was er gesehen hatte, war Dunkelheit.

An diesem Morgen war Pinky aufgewacht, mit dem Gefühl, dass etwas Außergewöhnliches passieren würde. Er wusste nicht, was, aber er war sehr neugierig darauf. Wie so oft zuvor, zog ihn auch heute der Verbotene Wald fast magisch an. Pinky wusste nicht mehr, wie oft er so vor dem Wald gestanden hatte. Aber heute war es anders.

Fast unbewusst setzte er einen Fuß auf den Wald zu, dann den zweiten. Nach ein, zwei weiteren Schritten hatte er den ersten Baum hinter sich gelassen und war im Verbotenen Wald. So schlimm war es gar nicht. Dunkel, ja dunkel war es hier. Dunkler zumindest als in Sonnenland. Aber sonst gab es hier nichts, vor dem Pinky sich fürchtete. Neugierig ging Pinky weiter in den Wald.

Mit jedem Schritt, mit jedem Baum, wurde es etwas dunkler. Er hatte eben den letzten Baum passiert, und es war so dunkel geworden, wie in der dunkelsten Nacht ohne Mond und Sterne. Pinky konnte seine eigene Hand nicht mehr sehen, so dunkel war es. So also war es in Dunkelland. Vorsichtig streckte er seine Hand aus um sich nicht zu stoßen und ging weiter. Langsam, Schritt für Schritt tastete er sich vorwärts. Bisher war noch nichts Schlimmes passiert. Vielleicht hatten sich die 8er Legos ja getäuscht, vielleicht hatten sie ja doch nicht Recht. Vielleicht lauerten hier gar keine Gefahren für Legosteine.

Mit einem Mal durchzucke ein greller Blitz die Finsternis und eine künstliche Sonne durchflutete Dunkelland mit gleißendem Licht. Dieses Licht tat Pinky in den Augen weh, so dass er schützend die Hände vor sein Gesicht hielt. Bald hatten sich seine Augen aber an die Helligkeit gewöhnt. Er schaute sich um und fand, dass es hier nicht bedrohlich aussah. Dunkelland war fast wie Sonnenland, nur mit einer künstlichen anstatt einer natürlichen Sonne. Nein, die 8er hatten sich geirrt. Hier gab es nichts, vor dem man Angst haben musste. Pinky ging immer weiter in das Dunkelland hinein. Es gab hier bestimmt viel zu entdecken, was Pinky nicht kannte.

Während sich Pinky begeistert umschaute, schob sich etwas sehr Großes vor die Sonne. Eine riesige Hand griff nach ihm. Pinky wollte weglaufen, war aber vor Schreck ganz starr. Die Hand packte ihn und hob ihn in die Höhe. Von so weit oben hatte Pinky die Welt noch nie gesehen. Au, war das spannend. Er konnte den Verbotenen Wald bis fast hinüber nach Sonneland sehen. Die Hand hob Pinky immer noch weiter in die Höhe und machte vor einem großen Gesicht halt. Pinky hatte von den 8er Steinen schon von so großen Wesen gehört, die so große Gesichter hatten. Dieses hier gehörte zu einem Mädchen, dass wusste Pinky sofort. Das Mädchen begann zu sprechen:

„Was haben wir denn hier? Wer bist denn du?“

„Ich bin Pinky“, dachte Pinky, aber das Mädchen konnte ihn nicht hören.

„Was soll ich nur mit dir machen?“

„Runter lassen“, dachte Pinky.

„Oh, ich habe eine Idee. Wo ist denn mein Filzstift?“

Pinky hatte noch nie einen Filzstift gesehen. Schon wieder konnte er etwas Neues lernen. Dunkelland war gar nicht schlecht. Und die Zauberin hatte er auch nicht gesehen. Das Mädchen nahm einen langen dünnen Stab und fing an, Pinky damit überall zu kitzeln. Gleichzeitig sang es ein Lied:

„Du bist noch klein          
ich mach Dich fein          
Meine kleinen Hände     
bemalen Deine Wände.“

Das Mädchen kitzelte Pinky von allen Seiten. Von oben, von unten, von vorne, hinten, links und rechts. Pinky musste schrecklich lachen und zappelte hin und her. Er zappelte so stark, dass das Mädchen ihn nicht mehr festhalten konnte und fallen ließ. Pinky hatte den Sturz gut überstanden und war froh, dass das Kitzeln aufgehört hatte. Er hatte viel erlebt und viel zu erzählen.

Nun wollte er schnell zu seinen Freunden zurück ins Sonnenland. Die künstliche Sonne schien noch und so hatte er schnell den Verbotenen Wald gefunden. Nicht lange, und er hatte in durchquert und war wieder zuhause in Sonnenland. Er freute sich darauf, allen Freunden von seinem Abenteuer zu erzählen. Von weitem sah er Susanne Rot und winkte. Susanne hatte ihn aber offenbar nicht gesehen. Gabi Grün erkannte ihn auch nicht. Pinky wunderte sich. Benjamin Blau, Pinkys bester Freund, würde ihn bestimmt erkennen. Als Pinky Benjamin gefunden hatte, ging er auf ihn zu und dachte:

„Hallo Benjamin, wie geht es dir?“

Benjamin dachte zurück: „Wer bist du?“

„Aber ich bin es doch, Pinky. Pinky Pink.“

„Du bist nicht Pinky, du bist ja noch nicht einmal pink. Du bist schwarz. Rabenschwarz!.“

„Doch, ich bin es, ich bin Pinky. Ich war im Verbotenen Wald und in Dunkelland.“

„Ich glaube dir nicht“, kam der Antwortgedanke, “mein Freund Pinky weiß genau, wie gefährlich es dort ist. Du bist nicht Pinky. Geh’ weg.“

Traurig trotte Pinky weiter. Jetzt wusste er endlich, was passiert war. Er hatte die Zauberin getroffen und sie hatte ihn verzaubert. Mit ihrem Filsstift hatte sie ihn ganz schwarz gekitzelt. Egal, wen er traf, keiner erkannte ihn mehr und keiner wollte ihm glauben. Seit er aus Dunkelland zurück war, hatte sich für ihn sehr viel verändert. Er war einsam und allein.

An einem Tag war Pinky so traurig, dass er ein dicke, schwarze Träne weinte. Bevor er in Dunkelland gewesen war, waren seine seltenen Tränen pink gewesen. Es hatte sich einfach zuviel verändert. Vielleicht musste er einfach noch einmal ins Dunkelland gehen, die Zauberin treffen und alles würde wieder so sein wie früher. Traurig aber auch erwartungsfroh ging Pinky in Richtung des Verbotenen Waldes. Dort angekommen, fand er Benjamin am Rand des Waldes sitzend vor.

„Pinky hat einmal davon gesprochen, in diesen Wald zu gehen, um zu sehen, was dahinter ist, trotz der Gefahr. Vielleicht muss ich auch dort hinein, um ihn zu finden. Ich vermisse ihn sehr.“

Pinky hatte schon eine ganze Weile nicht mehr versucht, die anderen Legos davon zu überzeugen, dass er Pinky war. So dachte er: „Wenn jemand einen Fehler macht, kann man ihn nicht dadurch wieder gut machen, dass man den gleichen Fehler auch macht.“

Da schaute Benjamin auf. „Ach du bist das. Ich dachte für einen Augenblick, ich hätte Pinky gehört.“

„Vielleicht ist es ganz gut, hin und wieder auf seine innere Stimme zu hören“, antwortete Pinky.

Es tat Pinky gut, sich seit langen wieder einmal richtig zu unterhalten. Während sie am Waldesrand gesessen und ein Gedankengespräch geführt hatten, hatte es begonnen zu regnen. Zuerst ganz leicht und dann immer stärker und stärker. So hatte es noch nie geregnet in Sonnenland. Und dann geschah es. Der Regen wusch etwas von der schwarzen Farbe in Pinkys Gesicht ab.  Benjamin schaute Pinky jetzt direkt ins Gesicht und stutzte.

„Du hast da etwas, unter Deinem Auge“, dachte er.

„Was denn?“ antwortete Pinky.

„Moment, das wird ja immer mehr und immer größer und es ist – PINK!“

„Was denn?“

„Dein Gesicht, und dein ganzer Körper wird Pink.“

„Endlich, “ dachte Pinky, “endlich!“

Der Regen trug die ganze schwarze Farbe ab und Pinky wurde wieder so pink wie er früher immer gewesen war. Benjamin war froh, seinen Freund wieder gefunden zu haben. Und Pinky hatte sehr viel gelernt. Die alten 8er Steine erzählten wirklich wichtige Sachen. Sie waren weise und man sollte gut aufpassen und zuhören, wenn sie erzählten. Und manchmal war es gut, auf seine innere Stimme zu hören, und nicht nur auf seine Augen zu vertrauen.

Als Pinky ein 8er Stein wurde erzählte er fortan die besten Geschichten über den Verbotenen Wald und Dunkelland. Niemand sollte in Zukunft mehr von der Zauberin aus dem Land hinter dem Verbotenen Wald verzaubert werden. Aber die 4er Legos waren ja soo neugierig …

 

AB, FFM 17.01.2005

 

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