Eine Schüssel voll Milchreis
Von Axel Baumgart (mit
einer Fips – Zeichnung von Ute Petkelis)
Fips hatte endlich den
langen Weg von seiner eigenen Wohnung durch das Wohnzimmer von Herrn Müller in
die Küche hinter sich gebracht. Er hatte am Morgen noch nicht vorgehabt, diese
Reise heute zu machen. Der Duft, der ihm mittags in die Nase gestiegen war, war
aber einfach zu verlockend gewesen. Frischer warmer Milchreis. Das war nach
Mausespeck die zweite Lieblingsspeise von Fips.
Er hatte nicht widerstehen
können und sich auf die Suche gemacht. Es war nicht schwer gewesen, den Weg zu
finden. Dieser herrliche Duft und seine Nase hatten ihm den Weg gezeigt. Auch
das Problem, über den Stuhl auf den Tisch zu kommen, war sehr schnell gelöst.
Da stand sie vor ihm auf dem Küchentisch: Eine riesige Schüssel voll mit
Milchreis. Und Fips stand vor einem genauso riesigen Problem. Die große,
wunderbar duftende Schüssel stand direkt vor ihm. Fips hatte aber keine Idee,
wie er an den köstlichen Milchreis kommen könnte. Die Schüssel war so groß,
dass Fips nicht an den Rand kam.
Er reckte und streckte
sich, machte sich so groß wie es nur eben ging – der Schüsselrand blieb außer
Reichweite. Fips nahm Anlauf, sprang hoch, bekam den Rand nicht zu fassen,
rutsche mit seinen kleinen Pfoten von der Schüssel ab, fiel auf den Küchentisch
mit der rot karierten Decke und landete auf dem Rücken. Er versuchte es noch
zweimal, ohne Erfolg. Er war dem Milchreis so nah, und er war trotzdem noch so
weit weg. Fips war so wütend, dass er fast geweint hätte. Wenn nur Fienchen
hier gewesen wäre, die hätte ganz bestimmt eine Idee gehabt. Auf dem Tisch lag
ein Bleistift, und Fips dachte: „Fienchen hätte bestimmt den Bleistift genommen
und …“ Ja, warum eigentlich nicht. Fienchens Ideen waren doch immer gut.
Er nahm den schweren
Bleistift mit der Spitze nach hinten auf seine Schulter. Das Ende mit dem
Radiergummi zeigte nach vorne. Vorsichtig ging er an den Rand des Tisches
zurück und nahm Anlauf so schnell er konnte. Kurz vor der Schüssel stieß er das
Radiergummi auf den Tisch und hielt sich Bleistift ganz fest. Durch den Schwung
des Anlaufs und das plötzliche Aufsetzen des Bleistiftes auf den Tisch wurde
Fips mit rasender Geschwindigkeit in die Höhe katapultiert. Er flog in einem
hohen Bogen – über die Schüssel hinweg. Auf der anderen Seite der Schüssel
landete er auf dem Tisch und lag wieder auf dem Rücken. So hatte er sich das
nicht vorgestellt.
Fips fing gerade an, sich
richtig zu ärgern, als er sah, dass der Bleistift mit dem spitzen Ende auf dem
Schüsselrand liegen geblieben war. Wenn er jetzt den schräg an der Schüssel
liegenden Stift wie eine Leiter benutzen würde? Fienchen hätte das
wahrscheinlich sofort vorgeschlagen. Er rannte schnell um die Schüssel
herum, nahm den Stift zwischen die Beine und setzte sich auf den Stift.
Vorsichtig zog er sich mit beiden Armen ein kleines Stück nach oben. Das ging
ja prima. Er zog noch einmal. Seine Beine kamen schon nicht mehr auf den Boden.
Ja, so ging es. Stück für Stück zog sich Fips näher an den Rand der Schüssel
heran. Ein ganz kleines Stück musste er noch. Seine Arme taten ihm ganz
schrecklich weh. Noch 2, 3 Anstrengungen, und er war da. Langsam beugte er sich
über den Schüsselrand, noch ein kleines Stück, und noch eines, bis er
schließlich in die Schüssel hinein fiel. Er fiel nicht tief und landete –
natürlich – auf dem Rücken. Aber diesmal lag er nicht auf der Tischdecke,
sondern mitten im Milchreis.
Er hatte es geschafft. Beim
Aufbruch hatte Fips vergessen, einen Löffel mitzunehmen, so griff er jetzt mit
seiner Pfote tief in den Milchreis und begann mit großem Hunger zu essen.
Lecker, Milchreis. Die ganzen Mühen hatten sich gelohnt. Der Milchreis war
phantastisch. Eine Handvoll und noch eine. Fips merkte, wie sein kleines
Bäuchlein immer dicker und runder wurde. Der Milchreis war einfach zu gut, um
aufzuhören. Noch ein paar handvoll, und Fips lag in der Schüssel und konnte
sich nicht mehr bewegen. Nicht einmal „Pips“ konnte er mehr sagen. Soviel hatte
er gegessen. Er lag auf dem kleinen Rest Milchreis in der großen Schüssel und
schaute hinauf zum Rand.
Er fühlte, dass ihn etwas
im Bauch drückte. Und das war mehr, als nur der viele Milchreis. Ganz da oben
war der Schüsselrand. Ganz hier unten war Fips. Das war es, dieses Problem
kannte er. Warum hatte er nicht vorher daran gedacht? Er war unten in der
Schüssel und kam nicht an den Rand heran. Er stellte sich auf die Zehenspitzen
und machte sich wieder ganz groß. Es half nicht, es reichte nicht. Er kam nicht
an den rettenden Rand. Rund um ihn herum waren die Wände der Schüssel rutschig
und klebrig vom Milchreis, er saß in der Mitte der Schüssel auf dem mickrigen
Rest Milchreis und war verzweifelt. Er saß in der Falle.
Lange überlegte er hin und
her und ihm fiel einfach keine Lösung ein. Aus lauter Verzweiflung rannte er
kreuz und quer über den Schüsselboden und warf sich mit aller Kraft gegen eine
Wand. Hatte er sich das nur eingebildet, oder hatte die Schüssel tatsächlich
etwas gewackelt? Fips versuchte es sofort noch einmal. In der Tat, die Schüssel
wackelte. Immer und immer wieder warf sich Fips gegen die Wand, und jedes Mal
wackelte die Schüssel etwas stärker. Endlich, nach vielen Versuchen, kippte die
Schüssel ganz um.
Fips war der Falle
entkommen. Mit dickem Bäuchlein machte er sich auf den Heimweg in seine
Wohnung. Dort angekommen legte er sich sofort auf sein Sofa. Seine Arme taten
ihm weh vom Klettern in die hohe Schüssel, seine Schultern und sein Rücken
taten ihm weh vom Anrennen gegen die Schüsselwand und sein Bauch tat ihm weh
vom vielen Milchreis. Das war alles aber nicht mehr schlimm, wenn er an seinen
Pfoten roch und daran dachte, wie herrlich der Milchreis geschmeckte hatte. Mit
diesem Gedanken schlief Fips ein und träumte von einem riesigen Bett aus --
Milchreis!
AB, Frankfurt a.M. 24.12.04