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Eine schreckliche Rutschpartie

Von Axel Baumgart (mit drei Zeichnungen von Ute Petkelis)

 

Im Winter war es für Fips wie für alle anderen Mäuse sehr schwer, etwas zu essen zu finden. Der Boden draußen war gefroren und alles war voller Schnee. An manchen Tagen war es so kalt, dass Fips gar nicht aus dem Haus gehen mochte. Aus diesem Grund war es für Fips sehr gut, dass Herr Müller seinen biologischen Abfall in einem separaten Eimer sammelte. Herr Müller hatte vor einem Jahr (oder war es länger her?) damit begonnen. Fips konnte sich nicht mehr erinnern.

In diesem Eimer jedenfalls konnte Fips alles zu essen finden, was er brauchte. So hatte Fips den ganzen Winter hindurch die leckersten Köstlichkeiten zur Verfügung und musste nicht, wie viele andere Mäuse, hungern. Heute war es besondern wichtig, etwas leckeres zu bekommen, denn Fienchen wollte zum Abendessen zu Fips kommen.

Wie schon an vielen Tagen vorher hatte sich Fips mit seinem kleinen Rucksack auf den Weg zur Abfalltonne in der Abstellkammer gemacht. Er war den Sprudelkasten hochgeklettert, hatte den Deckel des Abfalleimers etwas zur Seite geschoben und war hinein gesprungen. Er fand Brot, Apfelreste, Gemüse und sogar ein Stück Käse für Fienchen. Leider fand er keinen Mäusespeck. Bei Herrn Müller gab es sehr selten Mäusespeck. Eigentlich nur dann, wenn seine Enkelkinder da gewesen waren und Fips wie immer schreckliche Angst gemacht hatten. Aber das ist eine andere Geschichte.

Fips wollte sich gerade auf den Rückweg machen, als es geschah: Herr Müller kann in die Abstellkammer, brummte etwas wie: „Na so was“ und machte den Deckel auf dem Eimer fest. Hatte Fips etwa nicht richtig aufgepasst? Er wusste doch genau, dass er mittwochs niemals in die Abstellkammer gehen durfte, weil Herr Müller immer mittwochs etwas mit den Eimern machte, was Fips nicht verstand. Jetzt war es zu spät.

Er fühlte, wie der Eimer in die Höhe gehoben wurde und hin und her schaukelte. Fips bemerkte recht bald, dass ihm von der Schaukelei sehr übel wurde. Er kletterte mit seinem Rucksack voller Köstlichkeiten auf dem Rücken in dem Eimer soweit nach oben wie er konnte. Als er ganz oben war, konnte er sich am Rand des Deckels festhalten und das Schaukeln ließ etwas nach. Die Übelkeit ging zurück, aber Fips hatte Angst. Im Eimer war es dunkel und er wusste nicht, was passiert war. Der Deckel war immer noch fest zu und es schaukelte auch noch ein wenig.

Ohne Vorwarnung machte es „Rumps“, es gab eine starke Erschütterung und das Schaukeln hörte auf. Fips hätte vor Schreck fast seinen Halt am Eimerrand verloren. Zeit zum Nachdenken blieb ihm nicht. Er hörte außen am Eimer komische Geräusche. Als ob das alles nicht reichen würde, Fips zu erschrecken, bewegte sich jetzt auch noch der Deckel des Eimers, an dem sich Fips festhielt. Zuerst kam etwas Licht n den Eimer, dann wurde der Deckel ganz abgehoben und Fips bewegte sich am Deckel hängend in die Luft. Ganz weit unter sich sah er den Eimer, der vor dem Haus im Schnee stand. Wenn Fips doch nur nicht soviel in seinen Rucksack gepackt hätte. Er war sehr schwer geworden und zog furchtbar an seinen kleinen Armen. Lange würde sich Fips nicht mehr halten können. Zum Glück legte Herr Müller den Deckel jetzt neben den Eimer in den Schnee.

Uh, war das kalt, als Fips mit seinen Füßen den Schnee berührte. Während Herr Müller den Eimer in eine große Tonne kippte, kletterte Fips schnell auf den Deckel. Er wollte nur raus aus dem kalten Schnee. Dabei hatte es Fips wohl ein wenig zu eilig, denn kaum war er ganz auf dem Deckel, fing dieser an zu rutschen. Zuerst ganz langsam bewegte sich der Deckel von Herrn Müller und dem Haus weg. Er rutschte auf die gepflasterte Einfahrt, auf der die Autos immer zu ihren Garagen fuhren. Weil diese Einfahrt etwas schräg und kurvig war, wurde der Deckel immer schneller und fing zu allem Überfluss auch noch an, sich zu drehen.

Fips sah immer abwechselnd das Haus, Herrn Müller, die Garagen, die Hecke, die Straße, die Hecke, das Haus, Herrn Müller und so weiter. Als er auf dem rasenden Deckel zum vierten Mal die Straße gesehen hatte, fiel ihm etwas ein. Kamen nicht immer die Autos von der Straße die Einfahrt herauf gefahren? Und wenn jetzt ein Auto käme, genau jetzt, als der Deckel die Einfahrt herunter raste? Fips versuchte einen Zweig zu greifen, wenn wieder einmal die Hecke vorbei kam. Es gelang ihm nicht. Die Angst machte sich schwer in seinem Bauch bemerkbar und kroch von dort in seinen ganzen Körper. Fips war fest überzeugt, mitten auf der Straße zu landen, wo die ganzen Autos fuhren.

Soweit kam es aber nicht. Kurz vor der Straße schaffte es der Deckel nicht ganz um eine Kurve herum, verhakte sich mit dem Griff in der Hecke und kam mit einem Ruck zum Stillstand. Fips hatte nicht damit gerechnet und sich nicht gut genug festgehalten. So flog er mitsamt Rucksack in einen kleinen Schneehügel, in dem er mit dem Kopf zuerst landete. Nur seine Füße schauten noch aus dem Schnee heraus. Er strampelte mit den Beinen und wühlte mit den Armen. Irgendwie schaffte er es, sich umzudrehen und aus dem Schnee herauszuschauen.

So konnte er beobachten, wie Herr Müller laut schimpfend die Einfahrt herunter kam und den Deckel suchte. Die Einfahrt war sehr glatt und ein paar Mal wäre Herr Müller fast hingefallen. Einmal konnte er sich nicht mehr halten und fiel tatsächlich in den Schnee. Fips wurde klar, alleine würde er den Weg über die glatte Einfahrt zurück ins Haus nicht schaffen. Er musste zum Deckel kommen und zusammen mit Herrn Müller zum Haus zurück gelangen.

Strampelnd und prustend kletterte  Fips aus dem Schneehügel und kam gleichzeitig mit Herrn Müller bei dem Deckel an. Ein letzter großer Schritt, und Fips konnte das Hosenbein von Herrn Müller greifen und sich dort festkrallen. Auf diese Weise kam Fips zurück in die Wohnung von Herrn Müller. Dort angekommen machte er sich so schnell er konnte auf den Weg in seine eigene Wohnung. Er war riesig froh, als er dort ankam. Er verstaute den Inhalt seines Rücksacks in den Schränken und im Kühlschrank. Er zog seine vom Schnee immer noch kalten Sachen aus, zog sich seinen gemütlichen Lieblingspulli an und ließ sich in den Sessel fallen. Das war ja ein tolles Abenteuer gewesen. Er wollte Fienchen heute Abend unbedingt alles erzählen und hoffte sehr, dass er bis dahin nichts vergessen hatte.

 

AB, Frankfurt a.M. 03.01.2005

 

 

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