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Ein gefährlicher Ausflug

Von Axel Baumgart (mit einer Zeichnung von Ute Petkelis)

 

Schon lange hatten Fips und Fienchen diesen Ausflug geplant. Heute sollte es endlich so weit sein. Fienchen war in die Wohnung von Fips gekommen. Sie wartete nun darauf, dass Fips, der seinen kleinen Rucksack gepackt und zum vierten oder fünften mal den Inhalt geprüft hatte, endlich fertig wurde. Sie wollten an den See gehen, dort am Ufer liegen, und vielleicht einen kleinen Bootsauflug unternehmen. Fips hatte eine Decke eingepackt, ein Handtuch, einen trockenen Pulli (man wusste ja nie, ob man aus dem Boot fiel), etwas zu essen und zu trinken. Trotzdem wurde er das Gefühl nicht los, etwas Wichtiges vergessen zu haben. Also wurde der Inhalt des Rucksackes noch einmal überprüft. Nein, es war alles drin. Was hatte er nur vergessen? Es fiel Fips nicht ein. Er war der festen Meinung, dass alles im Rucksack war, was sie brauchten. Trotzdem – etwas war da noch, an das er sich erinnern musste. Fienchen, die lange im Sessel gesessen hatte, war aufgestanden und lief nun hin und her und fragte immer wieder, wann es denn losgehe. Da Fienchen langsam ärgerlich klang, hörte Fips auf, zu grübeln und sie brachen auf.

Um zu dem See zu kommen, mussten sie ein ganzes Stück zu Fuß gehen. Die beiden Freunde nutzten diese Zeit sich auszumalen, was sie alles tun wollten. Zuerst würden sie nur am See liegen und sich gegenseitig Geschichten erzählen, dann ein kleines Picknick machen und anschließend von der nahen Baustelle bei der wilden Wiese ein großes Brett holen, und darauf eine Bootsfahrt auf dem See unternehmen. Als Ruder würden sie wie immer kleine Plastiklöffel aus dem Eiskaffee nehmen, die überall herumlagen. Bei dem Gedanken an die wilde Wiese bekam Fips wieder dieses Gefühl, etwas vergessen zu haben.

Bald schon mussten sie von der Straße abbiegen und auf einem kleinen Pfad weitergehen. Auf der rechten Seite des Pfades war die Baustelle, auf der so viele tolle Bretter herumlagen. Der Pfad selber bog nach links ab und führte sie durch die wilde Wiese direkt hinunter zum See. Es war spätes Frühjahr, und das Gras war in den letzten Wochen sehr schnell gewachsen und so hoch, dass die beiden Mäuse nicht rechts und nicht links sehen konnten, als sie den Pfad betraten. Auf beiden Seiten neben ihnen war das Gras viel höher als sie selber und schien über ihnen eine Art Tunnel zu bilden. Ein wenig unheimlich war das schon, aber es war nicht mehr weit zum See. Vielleicht noch fünf Minuten, und sie  dort sein.

Etwa in der Mitte der wilden Wiese tippte Fienchen Fips auf die Schulter und fragte mit ängstlicher Stimme:

„Hast Du das auch gehört?“

„Was denn?“ wollte Fips wissen.

„Dieses Geräusch. Das Rascheln, und dann das – Fauchen?“

„Ach, das war bestimmt nur der Wind.“

Ein wenig ärgerlich fragte Fienchen: „Faucht denn der Wind?“

„Also, ich habe nichts gehört“, beendete Fips das Gespräch und ging weiter.

Nach weiteren zwei Schritten drehte sich nun Fips zu Fienchen um und fragte:

„Warst Du das?“

„Was denn?“

„Na, dieses Knurren und Fauchen!“

„Fips“, sagte Fienchen nun sehr ernst und auch etwas laut, „ich bin eine Maus! Und Mäuse piepen! Ich knurre nicht und ich fauche auch nicht!“

„Na, wenn Du es nicht warst, und ich es nicht war, wer war es dann?“ fragte Fips. Kaum hatte er die Frage ausgesprochen, kam mit einem Schlag die Erinnerung zurück. Sein Gefühl beim Rucksackpacken hatte ihn nicht getäuscht. Ihm fiel siedendheiß ein, an was er sich zu Hause nicht erinnern konnte: Zu der wilden Wiese gehörte eine ebenso wilde Katze, deren Zeitvertrieb darin bestand, ahnungslose Mäuse über die Wiese zu jagen, und wenn sie sie bekommen hatte und hungrig war, auch zu fressen. Ganz leise hauchte er Fienchen nur ein einziges Wort ins Ohr:

„KATZE!“

Fienchen hielt die Luft an und gemeinsam lauschten sie nun in die Wiese hinaus. Sehen konnte sie nichts denn das Gras war zu hoch, aber wieder hörten sie das Knurren und Fauchen. Diesmal war es sehr viel näher als zuvor. Es war so nahe, dass sie richtig Angst bekamen und wie gelähmt auf ihrem Platz standen. Fienchen fand als erste die Fassung wieder und flüsterte fast unhörbar:

„Wir müssen hier weg. Zur Baustelle. Da können wir uns vielleicht verstecken.“

Fips, der sich auf der wilden Wiese und der Baustelle besser auskannte als Fienchen, nickte und bog nach rechts ab in das Dickicht und kämpfte für Fienchen und sich selber einen Weg frei durch das dichte Gras. Sie hatten ungefähr die Hälfte des Weges hinter sich gebracht, als unmittelbar hinter Fienchen ein lautes, hungriges Knurren zu hören war. Die Katze war da! Wegen des dichtes Grases konnte sie die Mäuse nicht sehen, roch sie aber. Jetzt war es richtig gefährlich für die Freunde. Sie konnten nicht mehr miteinander reden, denn das hätte die Katze gehört. Es gab kein sicheres Versteck, denn um sie herum war nur hohes Gras. Fips’ Beine begannen zu zittern vor Angst. Wieder war es Fienchen, die auf eine Lösung drängte. Zuerst sanft, dann stärker schubste sie Fips nach vorne um ihm anzudeuten, er solle weiter gehen. Nach einigen Schubsern hatte Fips es endlich verstanden. Sobald er die Kontrolle über seine Beine wieder gewonnen hatte, setzte er sich langsam in Bewegung. Dabei versuchte er so wenig Geräusche zu machen, wie nur irgend möglich. Fienchen folgte ihm nahezu lautlos. Trotz aller Vorsicht hatte die Katze aber etwas gehört und war mit einem wütenden Knurren hinter ihnen.

So schnell er nur konnte, rannte Fips los. Fienchen war hinter ihm. Schnell, für Fips viel zu schnell, kam die Katze näher. Zum Glück für die beiden Mäusefreunde bot das Gras ein wenig Schutz vor der Katze, denn diese konnte nichts sehen und musste sich auf ihr Gehör verlassen. Außer Atem näherten sich Fips und Fienchen dem Rad der wilden Wiese. Unversehens standen sie schon wieder vor einem Problem. Sie waren am Baustellenrand, hatten aber keine Zeit, sich ein gutes und sicheres Versteck zu suchen. Sobald sie aus dem Schutz des hohen Grases treten würden, um sich umzuschauen, würde die Katze sofort da sein. Es war keine Zeit, sich zu beraten oder auch nur zu überlegen. Deshalb stürmte Fips auf gut Glück los, gefolgt von Fienchen.

Kaum waren sie aus dem Schutz des hohen Grases heraus, hatte die Katze sie entdeckt und sprang hinter ihnen her. Sie war mit ihren langen Beinen und geschickten Pfoten viel schnell als die beiden Mäuse, so sehr sie auch rannten. Wenn ihnen nicht schnell etwas einfiel, würde sie die Katze gleich packen. Da entdeckte Fienchen, die Fips inzwischen überholt hatte, in der Nähe ein kurzes Rohr.

Es war gerade hoch genug, dass die beiden Freunde hineinlaufen konnten. Wirklich in allerletzter Minute schafften sie es, das Rohr zu erreichen und hetzten hinein. Da saßen sie nun in dem Rohr und waren völlig außer Atem. Sie schauten sich an und konnten noch gar nicht richtig begreifen, dass sie in Sicherheit waren. Bald aber merkten sie, dass es eine trügerische Sicherheit war. Die Katze hatte ihre Jagd noch nicht aufgegeben und lauerte vor dem Rohr. Zuerst versuchte sie, mit ihren Pfoten nach den Mäusen zu greifen, aber das Rohr war zu lang. Die Freunde konnten jedes Mal ausweichen , in dem sie sich weiter in das Rohr verkrochen. Sie hatten ihre Freude an dem Spiel, bei dem die Katze jedes Mal verlor. Nach kurzer Zeit stellte sich jedoch heraus, dass es ein anderes gab, bei dem die Katze die besseren Karten hatte: Sobald Fips oder Fienchen versuchten, Ihren Kopf oder auch nur eine kleine Pfote aus dem Rohr zu stecken, war sofort eine Tatze der Katze da und versuchte sie zu ergreifen. Es stand Unentschieden: Die Katze konnte die Mäuse nicht fangen, und die Mäuse saßen in der Falle und konnten nicht entkommen.

Als ob das alles nicht schon schlimm genug gewesen wäre, begann die Katz nun auch noch, das Rohr vor und zurück zu rollen, wobei die zwei Freunde wild übereinander purzelten. Einmal hatte Fips den Fuß von Fienchen im Gesicht, dann spürte er, wie sich seine Nase in ihren Bauch bohrte. Nicht lange, und die Katze merkte, dass sie auch auf die Weise die Mäuse nicht fangen konnte. Aufgeben wollte sie trotzdem nicht und blieb vor dem Rohr sitzen.

Wahrscheinlich wäre das noch stundenlang so weitergegangen, wenn nicht von ganz unerwarteter Seite Rettung gekommen wäre. Die wilde Wiese und der nahe See waren nicht nur für Fips und Fienchen ein beliebtes Ausflugsziel, auch die Menschen gingen dort sehr gerne spazieren. Da es noch nicht spät am Tag war, waren immer noch viele unterwegs, die sich aber alle nicht um die Notsituation der Mäuse gekümmert hatten. Jetzt, das konnte Fips deutlich sehen, kam ein Mann vorbei, der seinen Hund soeben von der Leine befreite, damit dieser sich auf der wilden Wiese richtig austoben konnte. Der Hund allerdings zeigte kein Interesse an der Wiese sondern steuerte sofort auf die Baustelle zu. Dort angekommen erspähte er die Katze und begann sofort zu knurren. Die Katze wurde unruhig, als sie dieses tiefe Knurren hörte. Fips und Fienchen merkten es daran, dass sie immer wieder an das Rohr stieß, aber nicht mehr ganz so aufmerksam war, wenn eine der beiden Mäuse den Kopf oder eine Pfote aus dem Rohr hervor streckte.

Aus dem Knurren des Hundes wurde ein lautes, tiefes Bellen. Immer wieder schaute die Katze auf den Hund. Bald würde er sie jagen. Über kurz oder lang musste sie weglaufen. Wenn sie jetzt schon den Rückzug antreten würde, wäre sie vor dem Hund sicher, würde aber auch auf keinen Fall eine Maus fangen. Die Freunde in dem Rohr konnten förmlich spüren, wie die Katze hin und her gerissen war. Der Hund nahm ihr letztendlich die Entscheidung ab, indem er sich plötzlich in Bewegung setzte und direkt auf die Katze zu steuerte. Nun war klar, dass sie keine Maus bekommen würde. Sie musste schnell weg, um ihr eigenes Fell zu retten.

Die Katze hatte kaum die Flucht angetreten, da sagte Fienchen:

„Raus hier, Fips!. Schnell! So eine Chance bekommen wir nicht wieder!“

Flink krochen sie aus dem Rohr, das für sie fast zu einer gefährliche Falle geworden wäre. Sie rannten von der Baustelle weg. In sicherer Entfernung wurden sie langsamer und Fips sagte:

„Wenn Du heute Morgen nicht so ungeduldig gewesen wärest, dann wäre mir das mit der Katz bestimmt noch eingefallen.“

Worauf Fienchen antwortete: „So vergesslich, wie Du bist, mein lieber Fips, hätten wir bestimmt noch bis zum Abend warten müssen, bis du da drauf gekommen wärst!“

Eines war nach diesem Tag zumindest klar: Beim nächsten Ausflug an den See würde sich Fienchen mit Sicherheit an die Katze erinnern.

 

AB, Frankfurt a.M. 28.02.2005

 

 

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